Zu Bereketīs’ kalophoner Bearbeitung der ersten Ode Εν βυθώ κατέστρωσε ποτέ
aus dem Omōymos-Kanōn des Eirmologion im ἦχος δεύτερος

Petros Bereketīs, in einer Handschrift auch „Petros der Melode“ genannt, ist vor allem als „Komponist“ kalophoner Gesänge über die Oden des Kanōn aus dem Eirmologion bekannt.[25] Die melodischen Modelle des Eirmologion überliefern traditionell die Formeln und damit den Melos eines ἦχος. Wechsel in andere Tonarten sind daher nicht üblich, was in der Notation an dem Fehlen medialer Signaturen deutlich wird. Dagegen werden in den kalophonen Kompositionen, Eirmoi kalophōnikoi, die eirmologischen Modelle von anderen Gattungen überformt. Diese Überformung drückt sich bereits in dem Namen des Buches Eirmologion kalophōnikon aus. Der Eirmos kalophōnikos, diese zu Petros’ Zeit populäre und paraliturgische Gattung, wurde im Refektorium der Klöster oder bei der Austeilung des Abendmahls am Ende der Göttlichen Liturgie gesungen. Petros gilt als einer der Meister, der diese Gattung zur höchsten Vollendung brachte, so daß viele Sammlungen — Drucke aber auch Handschriften des Eirmologion kalophōnikon — hauptsächlich seine Kompositionen enthalten.

Die Quellen

Bereketīs’ Bearbeitung der Ode Εν βυθώ κατέστρωσε ποτέ im diatonischen ἦχος δεύτερος habe ich vor allem deswegen ausgewählt, weil es eine sehr kühne modale Auffassung hat, die die Beziehung des modernen eirmologischen ἦχος τέταρτος und seine Form als tiefer E-Modus oder ἦχος λέγετος einerseits und der Tonart dieser Ode im Eirmologion ἦχος δεύτερος auf b mi (ζω’) andererseits beleuchtet. Vor allem aber gibt es eine Feldaufnahme eines Sängers, dessen Schule nach der Darstellung von Chatzīgiakoumīs mit der Tradition des 18. Jahrhunderts verbunden ist, und diese Aufnahme gibt einen Einblick in die Kunst der Intonation, die philologische Erwartungen über den bevorzugten Gebrauch reiner Intervalle übertreffen. Dieses Beispiel handelt von der Kunst, den ἦχος λέγετος innerhalb des Tonsystems des Trochos zu intonieren. Dieser Gesang wird anhand von diesen Quellen analysiert: Bereketīs’ Komposition in der spätbyzantinischen Notation des 18. Jahrhunderts, ihre Übertragung von Grīgorios in der offiziellen Druckausgabe des Eirmologion kalophōnikon und zwei handschriftliche Eirmologia kalophōnika aus dem frühen 19. Jahrhundert und schließlich eine Aufnahme von Thrasyvoulos Stanitsas (1910-1987), Prōtopsaltīs des Ökumenischen Patriarchats, aus dem Jahre 1983.

Das Modell im alten Eirmologion und sein Text im Kontext des Orthros

Die traditionelle Vorlage im alten Eirmologion geht von einem ἦχος δεύτερος mit der Finalis auf b mi (ζω’) aus, der an einigen Stellen auf der Finalis des Plagios auf E mi (βου) endet – so wie dieser ἦχος auch im Agiopolitīs beschrieben wird.


229: Transkription nach Grottaferrata, Biblioteca della Badia greca, cod. crypt. Ε. γ. II, fol. 29[26]

Der Anfang der Ode, die erste Kadenz, entspricht der Ansingformel. Der erste Satz dagegen schließt mit einer Kadenz auf dem Plagios des Devteros – der Schlußformel des ἦχος πλάγιος τοῦ δευτέρου. Die ganze Ode wird mit der Schlußformel auf der Finalis des Kyrios abgeschlossen. Kleinere Einschnitte werden an den Stellen gebildet, die blau umrahmt sind. Eine offene Kadenz auf der Finalis hat die Form der Ansingformel des ἦχος λέγετος, also die Auffassung der Finalis als Mesos des Tetartos. Es gibt einige Verbindungen zum Tetartos. Eine offene Kadenz wird auf der Stufe des Kyrios Tetartos gebildet, an einer falschen Stelle eigentlich, und die Ode beginnt auf dem Mesos des Devteros, dem Plagios des Tetartos. Innerhalb des Devteros bekommen die beiden Finales über den Text eine Zuschreibung: der Kyrios wird als Tonort der Ort des Herrn und des Himmels und der Plagios ein irdischer oder ein Ort auf dem Meeresgrund.

Die Dichtung paraphrasiert die erste biblische Ode – dem Dankgebet des Moses, nachdem er das Volk Israels durch das rote Meer geführt hat, das sich auf wundersame Art teilte und das sie verfolgende Heer der Ägypter verschluckte (Ex. 15,1-19):

Εν βυθώ κατέστρωσε ποτέ [β’(h)] την Φαραωνίτιδα πανστρατίαν η υπέροπλος δύναμις· [πλβ’(E)]

σαρκώθεις ο Λόγος δε [πλβ’(E)] την παμμόχθηρον αμαρτίαν εξήλειψεν ο δεδοξασμένος [δ’(d)] Κύριος·

ενδόξως γαρ δεδόξασται. [β’(h)]

Auf den Meeresgrund (εν βυθώ) hatte damals die überbewaffnete Macht (υπέροπλος δύναμις) die gesamte Pharaonische Armee (την Φαραωνίτιδα πανστρατίαν) gebracht (κατέστωσε).

Darin ist das Wort Fleisch geworden (σαρκώθεις), daß der gepriesene Herr (δεδοξασμένος Κύριος) die schlimmste Sünde (την παμμόχθηρον αμαρτίαν) getilgt hat (εξήλειψεν).

Er sei preisend gepriesen.

Bereits in der Dichtung gibt es das Paradox, daß die „überbewaffnete Macht“ eigentlich ein Attribut des Heeres ist, aber im ersten Satz ist es das Subjekt, das das Heer als Objekt „auf den Meeresgrund bringt“. Diese Dichtung wird auf ein eirmologisches Melodiemodell angewandt, das einerseits auf dem Plagios tief und über der fallende Melos des Kyrios Īchos erreicht wird, andererseits aber am Ende zur Finalis dieses Īchos zurückfindet.

Das, was die Dichtung zum Inhalt nimmt, ist aber nicht so sehr die Geschichte aus dem Alten Testament, sondern eine Idee, die in der mittelalterlichen Anlage christlicher Kirchen und Klöster ihre Form erhalten und ihren Platz erhalten hat: Der Brunnen im Hof, im Atrium oder im Kreuzgang war nicht so sehr im körperlichen Sinne ein „Waschplatz“, sondern hier geht es um die sprituelle Bedeutung von Wasser und das Ritual, sich von den Sünden reinzuwaschen.[27] Damit wird die Geschichte von der Vertreibung aus Ägypten zu einer Metapher dieses Rituals, in der die „Waffen“ einerseits ein schicksalhaftes göttliches Verhängnis sind, andererseits gehören sie als gewaltsames Mittel zum menschlichen Streben nach Macht, das als Sünde die Menschen auf den Grund zieht. Nur wer diesen irdischen Ballast fallen läßt, wird wieder an die Oberfläche nach oben gelangen. Nach christlichem Verständnis beginnt hier die Himmelsreise (via contemplativa) mit der Abwendung von der Welt, mit dem Auszug aus Ägypten und in die Wüste.

Anmerkungen

25

Berlin, Staatsbibliothek, Mus. ms. 25050, fol. 31-32. Die Transkription von Bereketīs’ Komposition über die Ode ἐν βυθῷ in die Notation der neuen Methode weicht von der heute verbreiteten Druckfassung leicht ab und ist mit der Zuschreibung κυρ[ίου] πέτρου τοῦ μελώδου versehen.

G. T. Stathīs: Ἡ συνχυσή τῶν τριῶν Πέτρων (δηλ . Μπερεκετή, Πελοποννησίου καί Βυζαντίου („Die Verwechslung der drei Petroi (Bereketīs, Peloponnīsios und Vyzantios“), in: Byzantina 3 (1971), S. 213–251.

26

Fälschlicherweise steht bei την παμμόχθηρον das pnevma ypsīlī (ὑψηλή) über dem sōma oligon (ὀλίγον) und nicht daneben, was fünf Tonschritte bedeuten würde. Die Fassung wurde im Vergleich mit einer anderen Ode αγαλματός χρυσοτεύκγου aus dem Kanōn υψά υχεμῶν (fol. 47’) korrigiert, wo es nach einer Kadenz auf D re (πα) auf der Stufe b mi (ζω’) fast identisch wie hier weitergeht.

27

In der zisterzienischen Abtei von Thoronet, in den Bergen zwischen Fréjus und Aix-en-Provence gelegen, gibt es einen Brunnen im Kreuzgang, der in seiner Form eine Nachahmung der Brunnen in arabischen Spitälern ist.