Anmerkungen
Kapitel 1 - Improvisation
"Wenn
alles nach Plan läuft, passiert eigentlich gar nichts! Ein Ereignis
ist immer etwas Unvorhergesehenes. Nehmen wir als Beispiel ein Rezept für
ein Schlafmittel. Was haben wir am nächsten Morgen: Wohlausgeschlafene
Leichen!"
Volker Noelle, Professor am Institut für
deutsche Sprache und Literatur der Universität Basel, in einer Vorlesung
zu den "Grundbegriffen der Literaturwissenschaft". Bei der Erläuterung
der referentiellen Funktionen der Botschaft in Jacobsons Kommunikationsmodell
bezog er auch Handlungstheorien ein. Demnach wäre die Botschaft, als
Handlung von vielen Faktoren bestimmt, eine Linse, durch die der gerade
Strahl der Intention des Senders, als Referenzsubjekt, gebrochen wird.
Den Begriff generativ
habe ich von dem Linguisten Noam Chomsky übernommen, der sprachliche
Kompetenz wie Spracherwerb anhand seiner generativen Transformationsgrammatik
beschreibt.
Noam Chomsky: Studies on semantics
in generative grammar, Den Haag: Mouton 1976.
Riemann-Musiklexikon,Bd.2,230,
Ausgabe von 1989; dort ein Verweis auf Goethe: Gespräche mit Eckermann,
am
28.2.1824 und 29.1.1826.
Angabe nach: Christian
Kaden: Ex improviso - für wen? Improvisation als Kommunikationsprozess,
in:
Improvisation
II, Winterthur 1994; S.21. Der Autor wählte diesen Artikel als
Ausgangspunkt seiner Erörterung, was denn Improvisation wirklich sei.
Friedrich Erhard
Niedt: Musicalische Handleitung Teil I, Hamburg 1710. Das Kapitel
XII handelt Von Allemanden, Couranten, Sarabanden, Menuetten und Giquen,
wie selbige aus einem schlechten General-Baß zu erfinden sind. "Schlecht"
heißt in diesem Fall "schlicht, einfach". In diesem Kapitel wird
zu jedem Tanz dieselbe Baßlinie in den Takt des Tanzes gesetzt und
an einigen Stellen beziffert. Anschließend werden die ersten Takte
des jeweiligen Tanzes ausgeschrieben, um anzudeuten, wie und mit welcher
Freiheit diese Vorlage konkret ausgesetzt, oder besser: wie hiervon ein
Tanz erfunden werden kann. Wäre das Wort Invention
besser
als Improvisation?
Den style brisé,
den Froberger bei dem Lautenisten Blancrochet erlernte, vorher hatte er
in Italien bei Frescobaldi gelernt, lernte Louis Couperin durch Frobergers
Adaption auf das Clavecin kennen. Hieraus entstand die Notation des style
non mesuré von Louis Couperin, in der keine Taktstriche ein
Tempo vorgeben und die nur aus einer Kaskade ganzer Noten besteht, der
Linienführung durch lange geschweifte Bögen angedeutet wird.
Ulrich Krämer: "Alban
Berg als Schüler Arnold Schönbergs. Quellenstudien und Analysen
zum Frühwerk",
(= Alban Berg Studien Bd. 4, hrsg. v. R. Stephan),
Wien: Universal Edition 1996.
Arnold Schönberg
(1947): Brahms the progressive,
in: Ders.: Style and Idea, deutsche
Ausgabe (übers. von Gudrun Budde): Brahms der Fortschrittliche,
in:
Stil
und Gedanke,
Leipzig: Reclam 1989; S.99-145.
Zumindest für aufmerksame
Hörer, die manchmal mehr hören, als im Augenblick ein Musiker
bewußt gestaltet haben mag. Aber auf die Wahrnehmung einer Hörerin
oder eines Hörers kommt es hier an!
Die Unterscheidung zwischen bewußter
und intuitiver Gestaltung bei der Analyse einer Improvisation kann nur
über Protokolle getroffen werden, in denen die Musiker ihre Entscheidungen
rekonstruiert und aufgeschrieben haben.
Christian Kaden: op.
cit., S.21.
Die helvetische Rechtschreibung ist vom
Herausgeber.
Doch nicht zu unterschätzen!
Der Film Shine über den Pianisten Jeremias Gotthelf hatte immerhin
einige Leitmotive, die auch bei den Soziologen wiederkehren:
-
das amerikanische Prinzip der Selbstausbeutung,
-
Improvisation als Therapie- oder - wie Kaden
es ausdrücken würde - Lebensform.
Vielleicht nicht
ganz uninteressant - in diesem Zusammenhang ist die Interpretation des
Narziß-Mythos Theweleits, die er von Marshal McLuhan übernommen
hat. McLuhan geht nicht davon aus, daß Narziß in sich verliebt
ist, sondern daß Narziß im Umgang mit medialen Apparaten ein
Unfall unterlaufen ist. Er nennt den medialen Zug, dem die Erstarrung anhaftet,
narkotisch:
"Es ist vielleicht
bezeichnend für die Tendenz unserer starken technischen und daher
narkotischen Kultur, daß wir die Geschichte des Narziß lange
Zeit so ausgelegt haben, daß sie eine Verliebtheit in sich selbst
bedeute..."
Klaus Theweleit schreibt in seinem Buch
der Könige (Bd.1; Basel, Ffm 21991;
S.369) über die Erstarrung vor dem Spiegelbild:
"Narziß macht
etwas falsch mit dem neuen Medium, das er entdeckt. Er ist so betäubt
von der Herausforderung, die das Bild im Wasser an seine Augen stellt,
daß er es amputiert, daß er die Ausweitung seiner selbst verwechselt
mit der Figur eines Andern, von der er sich nicht lösen kann: er wird
zum 'bedienenden Teil' seiner Ausweitung, er wendet den Blick nicht mehr
von ihr, er wird zum 'geschlossenen System'.
Man kann
auch sagen: sähe Narziß sein Bild als das Andere von sich, wäre
er ein Spannungssystem mit zwei Polen.[...]
Hat er
den Spiegel 'nicht verstanden'? Das wird man nicht sagen können. Er
hat ihn, aus Faszination (und Liebeskummer) schlecht benutzt."
Bei der Aufführung einer Komposition
wäre der Musiker nur im Extremfall der bedienende Teil eines
geschlossenen
Systems. Wäre der Komponist ein Gott, so wäre der Musiker
ein Priester und das Publikum seine Gemeinde. Durch den Historismus hat
die Autorität des Interpreten noch die sakralen Weihen des
Musikwissenschaftlers hinzugenommen. Veröffentlichungen wie Harnoncourts
Der
musikalische Dialog zeugen davon. Das Publikum unterscheidet den intellektuellen
Typ wie Nikolaus Harnoncourt (historisierende Interpretation)
oder
Glenn Gould (aktualisierende Interpretation) vom intuitiven Typ
(traditionelle
Interpretation). Die Angaben in den Klammern beziehen sich auf Danusers
Idealtypen in seinen Texten zur musikalischen Interpretationskultur. Das
System ist so geschlossen wie diese Kultur überhaupt.
Christian Kaden
(1990): "Aufbruch in die Illusion". Kommunikationsstrukturen in der
Musik des späteren 18. Jahrhunderts,
in: Ders.: Des Lebens
wilder Kreis, Kassel 1993; S.150.
Großes Modell
für die öffentliche Versprachlichung von Intimitäten waren
die Confessions
von Jean-Jacques Rousseau. Nach der französischen
Revolution überschattete die Popularität dieses Werkes die politischen
Ideen des Autors. Liest man Schleiermachers Versuch einer Theorie des
geselligen Betragens,
der im Umkreis der Berliner Salonkultur entstanden
ist, sieht man, wie diese Ideen einem Rückzug ins Private weichen.
In diesem Gesellschaftsvertrag, den er sich und den anderen Teilnehmern
auferlegt, werden die sozialen Unterschiede zwischen ihnen ausgeblendet.
Ihre Utopie bestand dagegen darin, daß sie hier zusammentreffen konnten,
soweit eine bürgerliche Bildung ihnen Zugang verschaffen konnte.
Rousseau wurde für diesen Rückzug
zum Prototyp stilisiert: Robinson sei in die Idylle geflüchtet. Rousseaus
Rückzug auf eine Insel im Bieler See, den er in seinen Confessions
beschreibt,
machte aus der Initiation des höheren Sohnes für eine gerechtere
Gesellschaft (Emile) den Rückzug eines Idealisten von seinen
Idealen - hinein in die Infantilität. Dafür wurde er in
den Satiren von Jean Paul und Musäus zur Gallionsfigur des neuen Rousseauismus
im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts.
Im Paris der vierziger
Jahre des 19. Jahrhunderts, als die Improvisation auf dem Klavier noch
eine lebendige Tradition hatte, beobachtete Heinrich Heine bereits die
Verwandlung von Pianisten und ihrem Publikum in Automaten, die er mit Bezug
auf die industrielle Revolution als Akt der Selbstkasteiung der bourgeoisen
Gesellschaft ansah - die Kunst werde mechanisirt (Musikalische Berichte
aus Paris, 1843, in:
Sämtliche Werke, hrsg. v. G. Karpeles,
Bd. 10, Leipzig o.J.; S.265):
"Diese grellen
Klimpertöne ohne natürliches Verhallen, diese herzlosen Schwirrklänge,
dieses erzprosaische Schollern und Pickern, dieses Fortepiano tötet
all unser Denken und Fühlen, und wir werden dumm, abgestumpft, blödsinng.
Diese Überhandnehmen des Klavierspielens und gar die Triumphzüge
der Klaviervirtuosen sind charakteristisch für unsere Zeit und zeugen
ganz eigentlich vom Sieg des Maschinenwesens über den Geist. Die technische
Fertigkeit, die Präcision eines Automaten, das Identifizieren mit
dem besaiteten Holze, die tönende Instrumentwerdung des Menschen,
wird jetzt als das Höchste gepriesen und gefeiert."
Die Klavierkompositionen von Liszt, Chopin
und Schumann können als Gegenprogramm gegen diese Erstarrung gesehen
werden: Diese Musiker komponieren den ausgetriebenen Geist wieder in die
Klaviermusik, indem sie die einzelnen Stücke in Zyklen auseinander
entwickeln und sie mit einer poetischen Idee codieren. Diese Entwicklung
könnte von zwei Richtungen her betrachtet werden: Die Erstarrung der
Improvisation zur Komposition oder die Anreicherung der Kompositionstechnik
durch formale Prozesse der Improvisation.
Erstes Zitat: Interview
aus - Katharine Kuh: Marcel Duchamp, S.81.
Zweites Zitat: Interview
aus - Francis Roberts I propose to strain the laws of physics,
in:
Art
News 67/8 (1968).
Angaben nach: Gloria Moure (Hg.): "Marcel
Duchamp - Eine Ausstellung im Museum Ludwig, Köln, 27.6.-19.8.1984",
Köln 1984. Hier wurden die Zitate zusammengetragen.
Umberto Eco: Opera aperta,
Milano:
Bompiani 1962.
Heinrich Christoph Koch:
Versuch
einer Anleitung zur Composition, Zweyter Theil, Leipzig: Böhme
1787, alle drei Bücher 1969 als Reprint bei Olms (Hildesheim) erschienen;
Bd.II, S.53:
"...findet man
gleichsam von ohngefähr (und dieses kann auch bei blosen Instrumentalsätzen
geschehen) eine schöne Wendung, welche eine Abänderung des Gewöhnlichen
nöthig macht, so binde man sie nicht ängstlich an die bekannte
Form, sondern man bilde sie so, wie es der Satz den man bearbeitet, erfordert,
wenn man versichert ist, daß man eine würkliche Vervollkommnung
des Satzes bewürken kann, und wenn dabey im Ganzen kein anderer zufälliger
Uebelstand zum Vorschein kommt."
Christian Kaden:
op.
cit.
Karlheinz Stockhausen:
Texte
zur elektronischen und instrumentalen Musik , Bd.1: Aufsätze
1952-1962 zur Theorie des Komponierens, Köln: DuMont Schauberg
1963; S.140.
Für Stockhausen führten die
seriellen Techniken zur Elektronischen Musik. Dazu heißt es:
"Offensichtlich
werden also keine Instrumente verwendet, die von irgendeinem Interpreten
gemäß einer Partitur gespielt werden. In der Elektronischen
Musik hat der Interpret keine Funktion mehr."
Daß das Durchspielen
aller Permutationsmöglichkeiten ebenfalls nicht der Komposition allein
vorbehalten ist, zeigt sich wiederum bei John Coltrane. Gleich in den ersten
zwei Minuten der Aufnahme von Supreme love ist die fast systematisch
anmutende Permutation eines dreitönigen Motivs, das eben nicht - beim
ersten Erscheinen - als Thema musikalisch in Szene gesetzt wird, sondern
als Spielfloskel die Improvisation eröffnet und beim ersten Hören
wohl nicht als solches bemerkt wird.
John
Coltrane "Love supreme"
Es ist bekannt, daß dieses Permutationsspiel
in Coltranes musikalischer Arbeit einen wichtigen Platz einnahm. Kaden
dagegen
hält Konstruktionen, die zum systematischen Durchspielen aller Möglichkeiten
neigen, für einen Extremfall kompositorischer Planung.
Das digitale MIDI-Format
(Musical Instrument Digital Interface) erlaubt die Speicherung und digitale
Bearbeitung "des kinetischen Teiles einer musikalischen Darbietung" (Formulierung
von Marco Maria in seinem Aufsatz Neue Musiktechnologie, Körperbewegung,
Musikwissenschaft).
Sie ist die "eingefrorene Bewegung" des Musikers,
von ihrer Einwirkung auf die Mechanik eines Klaviers her aufgenommen.
Mit dieser Technik wäre eine exakte
Aufführung von Structures Ia möglich. Würde das angestrebt
werden, wäre bereits hier der Interpret überflüssig und
durch einen digital gesteuerten Automaten ersetzt worden. Erst dann gäbe
es ein subjektfreies Werk, in das die Hörer Strukturen hineinhören
könnten, wie wenn sie dem Prasseln von Regentropfen zuhören würden.
Wulf Arlt:
Warum
nur viermal? Zur historischen Stellung des Komponierens an der Pariser
Notre Dame, in:
Festschrift für Ludwig Finscher, Kassel
1995; S.44-48.
Karel Goeyvaerts:
Rundfunkvortrag
Fritz Reckow: Processus
und structura - Über Gattungstadition und Formverständnis im
Mittelalter, in: Musiktheorie
1 (1985); S.5-29.
Frances A. Yates: Die
Gedächtniskunst im Mittelalter, in: Dies.: Gedächtnis
und Erinnern, Weinheim: VCH, Acta humaniora 1990; S.54-81.
Daniel Leech-Wilkinson:
Written
and improvised polyphony, in: Polyphonie de tradition orale, Paris
1993; S.171-182.
Leo Treitler:
Der Vatikanische Organumtraktat und das Organum von Notre Dame de Paris,
in:
Basler
Jahrbuch für historische Musikpraxis 5 (1983), Winterthur: Amadeus;
S.25.
Hierüber gibt es
einen ganzen Streit von Aufsätzen, in denen Treitler, durch viele
Erwiderungen seiner Kollegen veranlaßt, seine Theorie in vielen Punkten
weiter ausgearbeitet hat. Ausgangspunkt ist der erste Aufsatz von 1974
(nächste Fußnote).
Leo Treitler: Transmission
and the Study of Music History, in: Daniel Heartz and Bonnie
Wade(Hgg.): International Musicological Society: Report of the Twelfth
Congress Berkeley 1977; Kassel: Bärenreiter 1981; S.202-211.
Helmut Hucke: Der Übergang
von mündlicher zu schriftlicher Musiküberlieferung im Mittelalter,
in: Congress Berkeley 1977;
S.180-191.
Leo Treitler: Oral, Written,
and Literate Process in the Transmission of Medieval Music, in: Speculum
56 (1981), S. 471-491.Leo Treitler:
The Early History of Music Writing
in the West, in: JAMS 35 (1982), S.237-279.
Leo Treitler: From Ritual
through Language to Music, in: Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft,
Neue Serie 2 (1982), S.109-124.
Leo Treitler: Die Entstehung
der abendländischen Notenschrift', in: Die Musikforschung
37 (1984), S.259-267.
Leo Treitler: Oral and
literate style in the regional transmission of tropes, in: Cantus
Planus Veszprém 1984; Studia Musicologica Academiae Scientiarum
Hungaricae 27 (1985); S.171-183.
The oral and literate
in music, Tokyo 1986.
Leo Treitler: Reading
and Singing: On the Genesis of Occidental Music-Writing, in: Early
Music History 4 (1984), S.135-208.
Leo Treitler: Communication,
in: JAMS 41 (1988), S.566-575.
Leo Treitler: The Politics
of Reception: Tailoring the Present as Fulfilment of a Desired Past,
in: Journal of the Royal Musical Association 116 (1991), S.280-298.
Peter Jeffery: Re-Envisioning
Past Musical Cultures: Ethnomusicology in the Study of Gregorian Chant,
Chicago Studies in Ethnomusicology; Chicago 1992.
Leo Treitler: The "unwritten"
and "written transmission" of medieval chant and the start-up of musical
notation, in: Journal of Musicology 10 (1992), S.131-191.
Leo Treitler:
Homer and Gregory: The Transmission of Epic Poetry and Plainchant, in:
Musical
Quarterly 60 (1974), S.333-372; die 10 Punkte sind nach S.344f übersetzt.
Frederic C. Bartlett:
Remembering:
A study of experimental and social psychology, Cambridge 1932; reprint
1972. Jeff Pressing hat sich direkt mit Improvisation als kognitiven Prozeß
auseinandergesetzt:
Jeff Pressing: Cognitive processes
in improvisation, in: W. Crozier et al. (Hgg.): Cognitive processes
in the perception of art, Amsterdam 1984; S.345-363.
Ders.: The micro- and macrostructural
design of improvised music,
in:
Music Perception 5 (1987/88),
S.133-172.
Frances Yates
(op.cit.) verweist auf die im Mittelalter Tullius
(Cicero) zugeschriebene Rhetorica vetus et nova, die sich
aus De inventione und Ad Herennium zusammensetzte. Beide
Autoren gelten heute als unbekannt - erstere wird der Schule Ciceros, zweitere
den nordafrikanischen Rhetorikzirkeln zugerechnet. Diese Textkompilation
ist seit dem 9. Jahrhundert überliefert und scheint vor allem im 12.
bis 14. Jahrhundert sehr populär gewesen zu sein.
Peter Wagner: Gregorianische
Melodien, Bd.3: Gregorianische Formenlehre, Leipzig 1921, Reprint:
Hildesheim: Olms 1962.
Kapitel 2 - Quellen
Rom, Biblioteca
Apostolica Vaticana, Ottob. lat. 3025, fol.46-50'.
Zur Datierung:
-
Frieder Zaminer: Der Vatikanische Organumtraktat
(Ottob. Lat. 3025), mit Faksimile und Edition, in: Münchner
Veröffentlichungen zur Musikgeschichte, 2, Tutzing: Schneider
1959.
-
Leo Treitler: Der Vatikanische Organumtraktat
und das Organum von Notre Dame de Paris, in: Basler Jahrbuch für
historische Musikpraxis 5 (1983), Winterthur: Amadeus, S.23-31.
-
Irving Godt & Benito Rivera: The Vatican
Organum Treatise, in: Gordon Athol Anderson - In memoriam, Henryville
1984, Bd.II.
Bezeichnung nach
Coussemaker (Anonymus 4: De mensuris et discantu, in: Edmond de
Coussemaker (Hg.): Scriptorum de musica medii aevi nova series a Gerbertina
altera, 4 Bde., Paris: Durand 1864-76; Reprint: Hildesheim: Olms 1963;
Bd.1). Es wird angenommen, daß Anonymus 4 aus Bury St. Edmunds (Schottland)
stammt und Zögling an der Notre-Dame-Schule war.
Das Zitat
folgt der neueren Ausgabe von Fritz Reckow (Der Musiktraktat des Anonymus
4, in: Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft, Bd. 4-5;
2 Bde., Wiesbaden: Steiner 1967; Bd.1, S.46).
Michel Huglo: Notated
performance practices in Parisian chant manuscripts of the 13th century,
in:
Plainsong
in the age of polyphony, Cambridge 1992, S. 32-44.
Die drei Organa sind zu den Responsorien
Operibus
(6.12., St. Nicolas, nur in Saint Maur) und Petre amas me (29.6.,
St. Petrus, in Notre-Dame und Saint Maur) und zu dem Alleluiavers Hic
martinus (11.11., St. Martin, in Saint Maur). Die in Klammern gesetzten
Zuordnungen folgen Huglos Aufsatz.
Michel Huglo:
Les
débuts de la polyphonie à Paris: Les premiers "organa" parisiens,
in:
Aktuelle Fragen der musikbezogenen Mittelalterforschung. Texte zu
einem Basler Kolloquium des Jahres 1975, Forum Musicologicum III (1982);
Winterthur: Amadeus; S.93-164.
translatio sancti
baboleni: Zur Liturgie der Translatio gehört eine Prozession,
bei der ein Reliquienschrein - meist mit einer Büste des Heiligen
geschmückt - getragen wird.
Acta Sanctorum,
Bd. V (Junii), Brüssel 1867, S.183.
Beruht wahrscheinlich auf der Vita
Baboleni: Troyes, Bibliothèque municipale, ms. 2273.
Biblioteca hagiographica latina antiqua
et mediae aetatis, ed. socii Bolandiani, Brüssel 1898-1901; S.887.
Angaben nach Huglo (op.cit.,
S.95/96).
Amédée
Gastoué: Histoire du chant liturgique à Paris, Paris
1904; S.77ff.
Paris, Bibliothèque
Nationale, fonds latin, ms. 12596 und ms. 5607.
Christian Kaden: Die
Anfänge der Komposition, in: Des Lebens wilder Kreis, Kassel
1993; S.65ff.
Seine Formel lautet: oratio et labor
statt
bellum
et labor. Trotz der Losung, die Benedikt in den Mund gelegt wird:
ora
et labora, ergibt sich aus der Regel eher eine Dreiteilung: Gebet,
körperliche Arbeit und Meditation.
Eine Version des Gegensatzes
weltlich/geistlich aus dem späten 14. Jahrhundert findet sich in dem
Melusinenroman des Jean d'Arras, der eine Herrschergenealogie für
das Geschlecht der Lusignan entwirft: Die Ahnmutter Melusine, die von der
keltischen Fee Morrigane abstammt, steht für das weltliche Glück
und seinen Verfall. Für den Verfall selber steht der hybride Held
Geoffroy, der das Kloster Maillezais anzündet, worin sein Bruder eingetreten
ist - eine Kain-und-Abel-Geschichte, die den Tabubruch in der Mahrtenehe
ihrer Eltern und damit den Exorzißmus ihrer Mutter Melusine nach
sich zieht. In ihrem letzten Moment prophezeit die Fee Melusine ihrem Gatten
das Schicksal von Geoffroy und seine Bedeutung für die Dynastie: Geoffroy
habe als Werkzeug Gottes gehandelt, denn Gott habe über die Mönche
ihren Untergang verhängt, da sie ihre Regel nicht eingehalten hätten.
Sie selbst hatte das Kloster gestiftet, er habe es vernichtet und werde
dafür viele neue aus Reue stiften. Was wären die Klöster
ohne ihre Stiftsdamen oder -herren?
Das historische Vorbild dieses Helden
hatte eine etwas schlichtere Geschichte. Geoffroy de Lusignan, der ein
Gottesleugner gewesen sein soll, verwüstete 1232 die Ländereien
der Abtei Malliers - immerhin ihre ökonomische Grundlage - und mußte
im Jahr darauf beim Papst Buße tun.
Eine jüngere
literarische Umsetzung des Antagonismus findet sich in Dostojevskijs Bratja
Karamasovy, wo die Figur des Starez Sosima der Gegenentwurf zur Gestaltung
des Atheismus in der Figur des Ivan Karamasov ist. Der Starez spricht von
der Befreiung, "einiges über den russischen Mönch und seine mögliche
Bedeutung" und der Konkurrenz zwischen weltlicher und monastischer Lebensweise:
"Über den Gehorsamsdienst
das Fasten und das Gebet lacht man, doch sie allein weisen den Weg zur
wirklichen, wahren Freiheit: ich unterdrücke in mir die überflüssigen
und unnötigen Bedürfnisse, geißle und bändige meinen
selbstsüchtigen und stolzen Willen durch Gehorsam und erlange dadurch
mit Gottes Hilfe die Freiheit des Geistes und damit geistige Freude! Wer
von beiden ist eher imstande, einen erhabenen Gedanken zu verherrlichen
und ihm zu dienen - der vereinsamte Reiche oder dieser von der Tyrannei
der Dinge und Gewohnheiten Befreite? Dem Mönch wirft man seine zurückgezogene
Lebensweise vor: ,Du hast dich zurückgezogen, um hinter den Mauern
des Klosters deinem Seelenheil zu leben, den brüderlichen Dienst an
der Menschheit aber hast du vergessen!' Doch muß sich erst zeigen,
wer sich die Bruderliebe mehr angelegen sein läßt. Denn nicht
wir haben uns abgesondert, sondern sie haben es getan, nur merken sie es
nicht. Aus unserer Mitte aber sind alters her die hervorgegangen, die für
das Volk tätig waren; warum sollte es sie nicht auch heute geben können?"
Daniel Leech-Wilkinson:
op.cit.,
S.173ff.
Über mögliche Organumpraxis
bei den Zisterziensern diskutieren:
-
Sarah Fuller: An Anonymous Treatise dictus
de Sancto Martiale, in: Musica disciplina 31 (1977), S.26.
-
Cecliy Sweeney: The Regulae Organi Guidonis
Abbatis and 12th century organum/discant treatises, in: Musica disciplina
43 (1989), S.8-12.
Das Zitat ist meine
Übersetzung nach einer englischen Internetveröffentlichung. Der
Originaltext findet sich in: Amnon Shiloah (University of Jerusalem): On
Jewish and Muslim musicians of the Mediterranean, erschienen in
einer multimedialen Publikation zu Musical
Anthropology of the Mediteranean von Ethnomusicology
Online (EOL)
Auch in Tarkovskijs Film
über Andrej Rubeljov führt die Erkenntnis des Ikonenmalers
Andrej, daß nicht Gott, sondern er selbst die Ikonen schafft, dazu,
daß er die Malerei aufgibt.
Die besondere Hierarchie,
in der die sakrale Musik ganz oben steht, findet sich in zahlreichen Abbildungen
dargestellt. Sie steht oben als Verbindung zum Himmel - als Gewölbe,
und bezieht damit die besondere spirituelle Funktion sakraler Architektur
in die bildnerische Gestaltung mit ein. Der Hall, den die Akustik dieser
Räume der Musik verleiht, erweckt ebenfalls den Eindruck räumlicher
Weite. Auf der Seite des Wissens erscheint die Musik eingebettet in das
System der sieben freien Künste, zu ihren Nachbardisziplinen Rhetorica
und Grammatica. Dagegen gibt es die Musen der Musik und der Dichtung, in
vielen mittelalterlichen Bildern aus dem Kreis der Künste ausgeschlossen,
oder die weltliche Musik, die gegenüber dem Himmel mit der göttlichen
Musik in eine Unterwelt gebannt wird. Dieser Gegensatz erinnert bereits
an Shiloahs These von der Nähe zwischen Vergöttlichung und Verteufelung.
Frances A. Yates (op.cit.)
weist ausdrücklich darauf hin, daß die Gedächtniskunst
im Mittelalter eine religiöse Praktik ist - eine Meditation, die sich
auf einer imaginären Landschaft zwischen den Gedächtnisorten
bewegt, sie der Reihe nach aufsucht, aber bestimmte auch meidet. Diese
Orte werden zu Komplexen unter die illustren Gedächtniszeichen wie
Himmel und Hölle zusammengefaßt. Der Hinweis der Scholastiker,
daß für die Gedächtnislandschaften erhabene Räume
- z.B. das Innere einer Kirche - vorgestellt werden sollen, machte Yates
darauf aufmerksam, daß eine Kirche mit ihren Bildern, Fenstern, Kapellen
und Altären oft bereits nach dem Vorbild der Gedächtnislandschaften
gestaltet ist. Solche Raumkonzeptionen sind durch ihre Funktion bestimmt,
Ort für Gottesdienste und Prozessionen zu sein. Die Gedächtnisorte
im Ablauf einer Liturgie zu suchen, liegt von daher ebenfalls nahe. Ein
anderes populäres Beispiel ist natürlich auch Dante.
Epitaph aus zwei Handschriften,
von gleicher Hand geschrieben (zitiert nach Huglo op.cit.):
-
Troyes, Bibliothèque municipale, ms.
2273, fol.111;
-
Paris, Bibliothèque nationale, fonds
latin, ms. 11578, fol.122'.
Dieser Zusammenhang
wird noch genauer im Kapitel über Modalität
behandelt.
Es ist wohl kein
Zufall, daß er in der Forschung für Guido Aretinus gehalten
wurde:
Hans Oesch: Guido von Arezzo, Bern
1954.
Paris, Bibliothèque
Nationale, fonds latin, ms. 12584, fol.306-306'.
Das zweite Neuma, das
dem Responsorium mit der Rubrik Aliud folgt, findet sich auch in
der späteren Handschrift aus Beauvais (London, British Library, ms.
Egerton 2615) - dort mit der Rubrik in choro cum organo versehen.
Florenz, Biblioteca mediceo-laurenziana,
Pluteo 29,I.
Zwei weitere Organa
fand Huglo in anderen Handschriften aus Saint Maur:
-
Das Responsorium Martir Clemens gehört
zum Ende der dritten Nocturn für St. Clemens, die nachträglich
auf die inneren Buchdeckel einer hagiographischen Handschrift notiert wurden
- zusammen mit einem Officium für den Heiligen Babolenus (Paris,
Bibliothèque Nationale, fonds latin, ms. 12596, fol. 166bis,
siehe Fußnote, von der Saite ist nur die linke
Hälfte erhalten)
-
Das Responsorium Gaude maria gehört
zum Fest Purificatio virginis marie (2. Februar), von ihm ist nur
der Vers Gabrihelem archangelum mit zwei Neumenreihen notiert, ebenfalls
auf der am Ende angehefteten Seite in einer patristischen Handschrift aus
dem Schwesterkloster in Glanfeuil notiert (Paris, Bibliothèque Nationale,
fonds latin, ms. 11631, fol.72').
Guido von Arezzo:
Micrologus,
Edition
und deutsche Übersetzung in: E.L. Waeltner:
Die Lehre vom Organum
bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts, Tutzing 1975, S.90-103.
Besonders die Aufsätze
von Susan Rankin zu Winchester Polyphony und Wulf Arlt zu den französischen
Organa des 11. Jahrhunderts - in: Susan Rankin & David Hiley (Hgg):
Music
in Medieval English Liturgy, Oxford: Clarendon 1993.
z.B. zwei Transkriptionen
vom Responsorium Martir clemens, auf unterschiedlichen Rekonstruktionen
des cantus beruhend - in: Wulf Arlt: Stylistic Layers in 11th-Century
Polyphony in op.cit.; S.136.
Die erste Rekonstruktion stammt von Huglo
(op.cit., S.111) und die zweite aus:
Marion Gushee: Romanesque Polyphony - A
Study of the Fragmentary Sources, Diss. Yale University 1965 (Ann Arbour
Mf. 65-9676), 131ss.
De diaphonia,
id est organi precepta und Dictae diaphoniae per exempla probatio
(Vom
Zusammenklang, d.i. die Lehre vom Organum; Veranschaulichung der beschriebenen
Zusammenklänge durch Beispiele) heißen die beiden Kapitel.
Guidos Micrologus,
zitiert
nach Waeltner (op.cit.).
Guidos Micrologus,
zitiert
nach Waeltner (op.cit.).
Guidos Micrologus,
zitiert
nach Waeltner (op.cit.).
Diese Starrheit der Regeln
hat Tradition. Die Organumregeln der Musica enchiriadis gingen hierin
sogar so weit, daß sie ein Tonsystem nahelegten, das mit den diatonischen
echoi
des
Westens gar nicht mehr vereinbar war. Guidos Überwindung dieser Starrheit,
die er sich selbst zugute hielt, ist daher, obwohl sie sicher eine Lösung
dieses Problems war, relativ.
Guidos Micrologus,
zitiert
nach Gerbert
(Scriptores ecclesiastici, R: Hildesheim 1963; Bd.2,
S.23).
Diese Idee - bezogen auf diese Passage
aus dem Antiphon O sapientia - wurde im Traktat von Sélestat
(Bibliothèque et Archives de la Ville 17) noch weiter ausgebaut:
«Sed propter fines
erit, qui dividuntur in cola et commata. Cola et commata sunt incisiones
et membra in cantu. Membrum in cantu dicitur, quando finis cantus in illum
sonum cadit, quo incipit. Sic in praesenti Antiphona: O sapientia. Notandum
autem, quod membrum cantus simul cum sensu verborum est. Inciso vero in
medio melodiae et verborum erit. Propter ista duo, quae finalem locum custodiunt,
erit organum in secundo et tertio loco.»
Susan Rankin:
Winchester
Polyphony, in
op.cit.; S.74-77.
Guidos Micrologus,
zitiert
nach Waeltner (op.cit.).
Michel Huglo: op.cit.,
S.121.
Michel
Huglo: op.cit., S.95:
«Cependant, ces
dons artistiques étaient doublés - ce qui est plus remarquable
- d'une connaissance approfondie de la théorie musicale et des règles
d'improvisation de l'organum.»
Christian Kaden: Die Anfänge der Komposition,
in: Des Lebens wilder Kreis, Kassel 1993; S.71f, 88.
Zu Kadens Besprechung der Varianten auf S.88:
Die beiden Varianten ergeben nur in einer
rein melodischen Transkription dasselbe. In der Praxis besteht ein großer
Unterschied, ob ein Ton mit einem oriscus zu verzieren ist oder nicht.
Mir ist keine Schreibschule bekannt, die das anders als punktuell notieren
könnte.
Christian
Kaden: op.cit., S.74.
Montpellier, Bibliothèque
de l'Université, Section de médecine, ms. H 384, fol.122-123.
Milano, Biblioteca
Ambrosiana, M. 17, sup., fol.58.
Dieser Traktat ist außergewöhnlich.
In seinem Prolog polemisiert der Autor gegen Guidos Organumlehre, kompiliert
die Teile aus
Micrologus,
die den
diaphoniae modus durum
-
Organum in Quart-Oktav-Parallelen - betreffen, und kurze Passagen aus dem
Montpellier-Traktat. Guidos diaphonia dura wird nur gebraucht, um
auch die diaphonia mollis auf die gleichen Intervalle festzulegen.
Danach folgen 5 modi organizandi, die durch Beispiele erläutert
werden. In einem Epilog wird der eingeschränkte Gebrauch der Intervalle
ethisch gerechtfertigt. Der zweite Teil des Traktats ist in gereimten Versen
geschrieben und behandelt das Organum metaphorisch: So verhalten sich beide
Stimmen wie zwei Liebende, die in einem Kuß zusammenfinden - mit
eingestreuten Beispielen zu einem cantus mit den Worten
Hoc est exemplum.
Hier
aber werden im Unterschied zum ersten Teil keine Regeln gelehrt, sondern
fertig komponierte Organa eingeübt.
Eine Kopie um 1300 überliefert zwei
Varianten zu Mailand und Montpellier: Berlin, Staatsbibliothek, Ms. theol.
lat. qu. 261, fol.48-61'.
Der cantus zum organum über den Alleluiavers
Iustus
ut palma
ist durch diese Quelle überliefert.
Eine ausführliche
und hervorragende Besprechung dieses Traktats, überhaupt der theoretischen
und praktischen Quellen zur Mehrstimmigkeit des 11. und 12. Jahrhunderts
bietet Sarah Ann Fuller:
Early Polyphony, in: New Oxford History
of Music, Bd. 3, Oxford 1990; S.508-525.
Cambridge,
Corpus Christi 473, fol.164. Übertragung aus Andreas Holschneider:
Die
Organa von Winchester - Studien zum ältesten Repertoire polyphoner
Musik, Hildesheim 1968, S.97ff.
Chartres, olim
Bibliothèque de la Ville 109, fol. 75. Übertragung wie in Sarah
Fuller: Early Polyphony,
(op.cit., S.519)
Rom, Biblioteca
Apostolica Vaticana, Reg. lat. 586, fol.87. Übertragung aus Wulf Arlt:
Stylistic
Layers, (op.cit., S.139).
Zitiert nach der
Ausgabe von Edmond de Coussemaker:
Histoire de l'harmonie au moyen-age,
Paris: V. Didron, 1852; S.226-43.
Zitiert nach Coussemaker
(op.cit., S.232).
Womit ich Treitler
widerspreche, der den Vatikanischen Organumtraktat
für einen
Lehrtraktat in "mündlicher Komposition" hält - und sogar für
den ersten. Von Improvised Polyphony spricht
dagegen auch Daniel Leech-Wilkinson.
Rom, Biblioteca Apostolica
Vaticana, Ottob. lat. 3025, fol.46-50'.
Zitiert nach der Ausgabe
von Irving Godt and Benito V. Rivera (The Vatican Organum Treatise,
in: Gordon Athol Anderson (1929-1981) in memoriam, Henryville 1984;
Bd.2, S.293).
Ebenda, S.294.
Ebenda, S.297f.
Die Tonnamen bezeichnen loci auf
der Guidonischen Hand.
Ebenda, S.295.
Santiago di Compostela,
Biblioteca de la Catedral, Liber sancti jacobi codex calixtinus, fol.185.
Venezia, Biblioteca
Marciana, ms. lat. VIII. 85 (3570), fol.40'-43'.
-
Albert Seay: An anonymous treatise from
Saint-Martial, in: Annales Musicologiques 5 (1957), S.7-42.
-
Sarah Fuller: An Anonymous Treatise dictus
de Sancto Martiale, in:
Musica disciplina 31 (1977).
Klaus-Jürgen
Sachs: Zur Tradition der Klangschritt-Lehre. Die Texte mit der Formel
«Si cantus ascendit...» und ihre Verwandten, in: AfMw
28 (1971), S.233-270.
Den Begriff übernimmt er von Eggebrecht,
der die Traktatgruppe gegenüber der früheren "Klangfolge-Lehre"
abgrenzen wollte. Die Traktate der Klangschritt-Lehre reichen vom zweiten
Teil des Mailänder Traktates (um 1100) bis in das frühe 14. Jahrhundert.
Er unterteilt sie in vier Gruppen. Den Vatikanischen Organumtraktat
zählt
er zur zweiten Gruppe, die durch die diatonische Zählung der Intervalle
(z.B. «duas voces» für eine große oder kleine
Sekunde) und der Bevorzugung der Quinte gegenüber der Quarte charakterisiert
sei.
Zitiert nach der Ausgabe
von Irving Godt and Benito V. Rivera (op.cit.,
S.299).
Reaneys Beschreibung
der vatikanischen Handschrift in RISM 4,1.
Zitiert nach der Ausgabe
von Irving Godt and Benito V. Rivera (op.cit.,
S.298).
Paris Bibliothèque
nationale, fonds lat., ms. 1139, fol.60', und ms. 3719, fol.166'.
Paris, Bibliothèque
Nationale, fonds latin, ms. 1120, fol.105.
Die Melismen des Organum lassen sich anhand der Strichpunkte klar den Cantustönen zuordnen. Meine Transkription orientiert sich an der von Sarah Fuller, die davon ausgeht, daß der Cantus auf D beginnt und endet, während das Organum in der Oktave beginnt und im Einklang endet. Vergleiche die Übertragung in der Dissertation
von Sarah Ann Fuller: Aquitanian Polyphony of the 11th and 12th centuries,
Diss. 1969 (University of California, Berkeley), 3 Bde., Ann Arbor Michigan
(u.a.): University Microfilms International 1982; Bd.3, S.131.
Zitiert nach der
Ausgabe von Reckow (op.cit., Bd.1, S.88).
In RISM
und Friedrich Ludwigs Repertorium (Bd.2) unter MüA
beschrieben,
denn in München liegen zwei Doppelblätter aus einem Motettenfaszikel
dieser Notre-Dame Handschrift. Andere Fragmente dieser Handschriften
waren im Privatbesitz von Johannes Wolf und galten als verschollen, bis
es in der Berliner Staatsbibliothek bei einer Katalogisierung seines Nachlasses
wiederauftauchte (Herbst 1998). Seine neue Berliner Signatur ist: 55 MS
14. Entsprechend der Zählung der Blätter in Ludwig stammt dieser
Fetzen, der nicht viel weiter geht als dieser Bildausschnitt, aus der rechten
unteren Ecke des Blattes C1, das aus einem Faszikel des zweistimmigen Magnus
liber organi stammt. Die Abbildung zeigt die Versoseite, auf der ein
Organum im Einklang auf E beginnt.
Das Organum duplum
über das marianische Graduale Benedicta et venerabilis hat
ebenfalls in der Fassung von W2 (fol.77) ein ligiertes principium ante
principium am Anfang des Verses Virgo.
Zitiert nach der Ausgabe
von Reckow (op.cit., Bd.1, S.88). Anonymus
4 kurz vor Ende seines Traktats. Er entwirft hier - im siebten Kapitel
- auch das System der rhythmischen modi irregulares,
mit dem er
den vormodalen Rhythmus des organum purum zu erklären versucht.
Es darf als sein Kapitel über das organum purum gelten.
Über das System der modi irregulares
ist
viel spekuliert worden, um eine rhythmischen Transkription der vormodalen
organum-purum-Passagen
in den von Perotin bearbeiteten Quellen des Pariser Magnus liber organi
zu
rechtfertigen. Eine Besprechung der musikwissenschaftlichen Kontroverse
und der theoretischen Quellen, freilich ohne zu einem verbindlichen Ergebnis
zu kommen, findet sich bei Jeremy Yudkin: The rhythm of organum purum,
in:
JAMS2
(1983/84), S.355-376.
Diese Haltung ist
mit der der Zisterzienser vergleichbar. Der Orden der Prämonstrazenser
ist erst im 12. Jahrhundert (1120) in Prémontré gegründet
worden, etwa 20 Jahre nach der Gründung von Cîteaux. Ein ähnlicher
Wille zur Schaffung neuer "wahrer Traditionen" wird sich der theoretischen
Modelle des 11. Jahrhunderts bedient haben, wobei bestehende regionale
Traditionen als Abweichung von der wahren gregorianischen Tradition betrachtet
wurden. Zur Zeit von Hieronymus war diese "wiederhergestellte" Tradition
immerhin schon 150 Jahre.
Zitiert nach
der Ausgabe von Simon Cserba
(Hieronymus de Moravia: Tractatus de musica,
Regensberg
1935, Bd.2, S.184f).
Ein Beispiel
hierfür ist ein Colloquium
1989 in Royaumont, dessen Beiträge
veröffentlicht wurden:
Christian Meyer (Hg.): Jérôme
de Moravie - un théoricien de la musique dans le milieu intellectuel
parisien du XIIIe siècle. Actes du Colloque de Royaumont, 1989 -
sous la direction de Michel Huglo et Marcel Pérès, Paris:
Edition Créaphis 1992.
Das Interesse von Marcel Pérès
und seine Arbeit im Ensemble Organum wird im nächsten Kapitel
über Modalität diskutiert. Es hatte jedenfalls Einfluß
auf die Arbeit vieler anderer Ensembles in romanischen Ländern und
in Polen.
Artikel im New Grove
Dictionary (1980, Bd.9, S. 607).
Zitiert nach der Ausgabe
von Simon Cserba (Hieronymus de Moravia: Tractatus de musica, Regensberg
1935, Bd.2, S.187 & 186).
Ebenda., S.185f.
Klaus-Jürgen Sachs:
op.cit.,
S.250-266.
Saint-Dié,
Bibliothèque Municipale, ms. 42.
Möglicherweise wurden mehrere Traktate
in dieser Handschrift kompiliert. Die Ausgabe von Coussemaker (Scriptorum
de musica medii aevi, Paris 1864-76, R: Hildesheim 1963; Bd.1, S.303-319)
übernimmt diese Zusammenstellung und nennt die Autoren "Anonymus 2".
In der Ausgabe des
Vatikanischen
Organumtraktats
von Godt und Rivera bemerken die Herausgeber, daß
wir - im Unterschied zu kompetenten Musikern damals - den "genauen Rhythmus"
nicht kennen. Es ist ganz ohne Zweifel so, daß Musiker, die sich
mit der Rekonstruktion einer Tradition des Organum purum befassen,
den zeitgenössischen Kantoren immer unterlegen sein werden, solange
keine Zeitmaschine entwickelt ist, die uns erlauben würde, sie zu
besuchen und von ihnen zu lernen. Woher aber die Sicherheit nehmen, daß
sich ihnen vor Entwicklung der rhythmischen Modi dieses Problem überhaupt
gestellt hat? Obwohl zahlreiche Organum- und Diskanttraktate aus dieser
Zeit überliefert sind, gibt es nicht einen, der einen Hinweis darüber
gibt, daß es vor den Modalnotation Perotins ein rhythmisch-metrisches
System gegeben hat. Die Fixierung auf ein solches verrät eher vieles
über die heutige westliche Musikausbildung.
Anonymus 4: De mensuris
et discantu, in: Edmond de Coussemaker (Hg.): Scriptorum de musica
medii aevi nova series a Gerbertina altera,
4 Bde., (Paris: Durand
1864-76); Reprint: Hildesheim: Olms 1963; Bd.1, S.342:
«et fuit in usu
usque ad tempus Perotini Magni, qui abbreviavit eumdem, et fecit clausulas
sive puncta plurima meliora, quoniam optimus discantor erat, et melior
quam Leoninus erat; sed hic non dicendus de subtilitate organi, etc.»
Der Brauch der clausule-Anhänge,
den übrigens nur die früheren Handschriften F und W1 kennen,
hat leider nicht dazu geführt, daß die Organa Leonins unbearbeitet
geblieben wären.
Die syllabische Tropierung
führt zur Auflösung der modalen Gruppierung und der Rhythmus
kann nur durch den Rückbezug zu den clausule-Anhängen
erkannt werden. Dieses Problem führte zu weiteren notationstechnischen
Verfeinerungen im Bereich cum littera.
Hierzu: Fritz Reckow: Proprietas und
Perfectio. Zur Geschichte des Rhythmus, seiner Aufzeichnung und Terminologie
im 13. Jahrhundert, in:
Acta Musicologica 39 (1967); S.115-143.
Einen Überblick
über diese Kontroverse gibt Jeremy Yudkin 1984 in einem Aufsatz über
The
Rhythm of Organum purum (in:
The Journal of Musicology 2; S.
355-376), wo er eine eigene - offensichtlich nicht ganz ernst gemeinte
- Interpretation von den modi irregulares
aus dem Traktat des Anonymus
4 anbietet, die seiner eigenen Klassifikation gemäß etwas zur
Richtung von Willi Apels beiträgt.
1985 erschien die
erste mir bekannte CD mit einer Weihnachtsmesse mit drei organa dupla
als
zweite veröffentlichte Aufnahme des Ensemble Organum. Dominique
Vellard, der an der ersten CD mit aquitanischer Mehrstimmigkeit in
diesem mitwirkte, legte 1986 eine eigene Aufnahme vor, auf der er u.a.
eine eigene Interpretation des Stils anhand des Ostergraduales
Hec dies
dokumentiert
hat. 1997 erschien eine Aufnahme von Red Byrd,
mit der John Potter
an seine Arbeit im Hilliard Ensemble anknüpfte:
Magister
Leoninus
als Fortsetzung der Einspielung Perotin.
Eine Interpretation, die gegenüber
all den genannten auffällt und etwas Neues bringt, ist die ebenfalls
Mitte der neunziger Jahre erschienene zweite Notre Dame-Aufnahme des Ensemble
Organum, auf der Lycourgos Angelopoulos, ein Sänger aus der griechisch-orthodoxen
Tradition, das Duplum der organa pura singt.
Fritz Reckow:
Processus
und structura. Über Gattungstadition und Formverständnis im Mittelalter,
in:
Musiktheorie
1 (1985); S.5-29.
Paris, Bibliothèque
Nationale, fonds latin, ms. 12584, fol.306.
Rom, Biblioteca Apostolica
Vaticana, Ottob. lat. 3025, fol.50-50'.
Florenz, Biblioteca
mediceo-laurenziana, Pluteo 29,I, fol.74'-75.
Die Quellen zur Liturgie
der Nokturnen zum 29. Juni werden im vierten Kapitel
besprochen.
Zitiert nach der Vulgata:
«21:15 cum ergo
prandissent dicit Simoni Petro Iesus Simon Iohannis diligis me plus his
dicit ei etiam Domine tu scis quia amo te dicit ei pasce agnos meos
21:16 dicit ei iterum
Simon Iohannis diligis me ait illi etiam Domine tu scis quia amo te dicit
ei pasce agnos meos
21:17 dicit ei tertio
Simon Iohannis amas me contristatus est Petrus quia dixit ei tertio amas
me et dicit ei Domine tu omnia scis tu scis quia amo te dicit ei pasce
oves meas»
Lucca, Biblioteca Capitolare
Feliniana, ms. 603, p.417f. Faksimile in Paléographie musicale
9,2 (Solesmes, 1914).
Peter Wagner: Gregorianische
Melodien, Leipzig 1921, Reprint: Hildesheim: Olms 1962, Bd.3: Gregorianische
Formenlehre,
S.338f.
Ebenda., S.327.
Leo Treitler: Homer and
Gregory: The Transmission of Epic Poetry and Plainchant, in: Musical
Quarterly 60 (1974), S.347.
Das Verfahren erinnert
an aquitanische Note-gegen-Note-Kompositionen wie z.B. der Benedicamus-domino-Tropus
Noster
cetus in Paris, Bibliothèque nationale, fonds lat., ms. 1139,
fol.61.
Michel Huglo: Les debuts,op.cit.,
S.105.
Ebenda., S.104.
Wulf Arlt: Stylistic Layers, op.cit.,
S.135.
Hartmut Schick: Musik
wird zum Kunstwerk - Leonin und die Organa des Vatikanischen Organumtraktats,
in:
Studien
zur Musikgeschichte: Eine Festschrift für Ludwig Finscher,
Kassel
1995; S.34-43.
Der Prometheus-Mythos
in diesem Zusammenhang ist von mir, um auf eine aufklärerische Traditon
und ihre Selbststilisierung anzuspielen. Bei Hartmut Schick dagegen ist
Hans-Heinrich Eggebrecht Vater des Gedankens, dessen Geschichte der Mehrstimmigkeit
eine Entwicklung zum Kunstwerk beschreibt (Die Mehrstimmigkeitslehre
von ihren Anfängen bis zum 12. Jahrhundert, Darmstadt 1984).
Schicks Methode,
beide Organa über dem Tenor so übereinander zu montieren, daß
vergleichbare melodischen Strukturen zueinandergesetzt werden, finde ich
sehr interessant, aber seine Beschränkung darauf klammert fast alle
Aspekte der Formgestaltung aus und nivelliert viele Unterschiede.
Der Terminus discordare
folgt dem ersten Teil des Vatikanischen Organumtraktats, der ähnlich
wie der Mailänder Traktat nur zwei Arten von Gerüstklängen
zuläßt: konkordante (Oktave und Einklang) und diskordante
(Quinte und Quarte).
Ich entnehme diese
sehr treffende Formulierung einem Aufsatz von Christian Kaden, der dem
Unterschied zwischen Komposition und Improvisation nachgeht, und dabei
auf die mediale Verlängerung gestoßen ist, die jedem Werk -
übrigens ganz im Sinne von Eggebrechts artificium - anhaftet: Ex
improviso - für wen? Improvisation als Kommunikationsprozess,
in: Improvisation II, Winterthur 1994; S.27-30.
Kapitel
3 - Modalität
Daniel Leech-Wilkinson
ersetzt "rediscovery" durch "reinvention" ("Translating Medieval Music").
Meiner Meinung nach haben diejenigen, die sich für wissenschaftlicher
halten, weil sie mittelalterliche Traditionen nicht erfinden, sondern wiederentdecken,
das Rufen von Geistern verstorbener Musiker als wissenschaftliche Methode
entdeckt.
Daniel Leech-Wilkinson
bildet hierbei keine Ausnahme. Er tut die Experimente von Musica reservata
und Ensemble Organum als "making medieval music strange" ab:
"It is psychologically
rewarding and therefore commercially sound. But it all aims to keep medieval
music fresh, by keeping it different. The Other never ceases to delight
us, so long as it is always a different other."
Der folgende Absatz läßt durchblicken,
daß Leech-Wilkinson die Arbeit seines Freundes Christopher Page gegen
Kritik verteidigen wollte. Als ich ihm schrieb, daß korsische oder
griechische Musiker die englische Chortradition ("English choral tradition")
wohl kaum mehr "familiar" empfinden würden, als er die korsische oder
griechische, bezichtigte er sich selbst einer Vereinfachung bei seiner
Darstellung der Rezeptionsgeschichte. Interessanterweise beruht die Vereinfachung
darin, daß er sich gezwungen sieht, zu ethnographischen Kategorien
wie Fremd- und Selbstzuschreibung zu greifen, aber sie sehr grob anwendet,
denn es gibt nicht die "medieval music" von Europa.
Cecily Sweeney: op.cit.,
S.8-12.
Über den gallikanischen
Ritus in Paris und seine Relikte nach der liturgischen Reform durch Cluny,
siehe Craig Wright: Music and Ceremony at Notre Dame of Paris, Cambridge:
IMM 1989.
Zitiert nach der
Ausgabe von Simon Cserba (Regensburg 1935; Bd.2, S.44).
Zitiert nach der Ausgabe
von Simon Cserba (Regensburg 1935; Bd.2, S.63).
Alexander Šumski: Theoretikon
der rumänischen Psaltikie (Flüeli-Ranft 1982).
Deutsche Umschrift nach
der Transkription von bulgarischen Liedern durch Prof. M. Samokovlieva
- Material, das sie in einem Gastseminar zum Thema Formen der Mehrstimmigkeit
(WS 92/93, Musikwissenschaftliches Institut der Uni Basel) ausgeteilt hat.
Alexander Šumski: Theoretikon
der rumänischen Psaltikie, (Flüeli-Ranft 1982; S.141).
Alexander Šumski: op. cit., S.142.
Alexander Šumski: op. cit., S.21.
Paris, Bibliothèque
nationale, fonds grecques, ms. 360, fol.216-237.
Kapitel
4 - Petrusliturgie
Paris, Bibliothèque
Nationale, fonds latin, ms. 12584, fol.306.
Florenz, Biblioteca mediceo-laurenziana,
Pluteo 29,I fol.73'.
Jean-Paul Migne (Hg.):
Patrologia
cursus completus, Series latina, Paris 1879-90; Bd.212; Sp.72:
«Matutini [...]
ordine debito [...] tertium et sextum responsorium in organo (vel in triplo,
vel in quadruplo) cantabuntur.»
Die Benediktus-Regel
- lateinisch-deutsch, hrsg. v. P. Basilius Steidle OSB, Beuron ²1975;
S.90-99.
Faksimile: Antiphonaire
monastique XIIIe siècle: Codex F. 160 de la Bibliothèque
de la Cathédrale de Worcester, in: Paléographie musicale
12
(Solesmes, 1922).
Als Faksimile erschienen
in Paléographie musicale 9 (Solesmes, 1914).
Gerard Achten: Die
theologischen lateinischen Handschriften in quarto der Staatsbib., Teil
2, Ms. theol. lat. qu. 267-378, Wiesbaden 1984; S.233-236.
Zitiert nach der Vulgata
(Matthäus 16,18-19):
«tu es Petrus
et super hanc petram aedificabo ecclesiam meam et portae inferi non praevalebunt
adversum eam
16:19 et tibi dabo claves
regni caelorum et quodcumque ligaveris super terram erit ligatum in caelis
et quodcumque solveris super terram erit solutum in caelis»
Diese Homilie ist ebenfalls
von Paulus Diaconus: Omilia venerabilis Bedae presbyterii. Philologisch-kritische
Edition in: Jean-Paul Migne (Hg.): Patrologia cursus completus, Series
latina, Paris 1879-90; Bd.94, S.219-224 (hom. I, 20; hom. II, 16).
Peter Wagner: Lektionen
der Matutin, in: Gregorianische Formenlehre, (Gregorianische Melodien,
Bd.3),
Hildesheim 1962, S.38f.
Fjodor M. Dostojevskijs
Konzeption des Atheismus in der Figur des Ivan Karamasov aus Brüder
Karamasov greift in dessen Poem Der Großinquisitor die
Hybris des Priesters auf, von der schon Spinoza meinte, sie verbreite allein
durch die Macht der äußerlichen Erscheinung das Gefühl
der Unlust bei denen, die ihnen begegnen. So will der Großinquisitor
seiner Gemeinde die unmenschliche Last der Freiheit abnehmen (der
Gegenentwurf zur Vision des Starzen Sosima), die ihr Jesus auferlegt
hatte. Und Ivan erläutert die Priesterhaltung des Großinquisitors,
der Jesus auf einer Autodafé der Inquisition verbrennen möchte,
mit folgenden Worten:
«Er rechnet
es sich und den Seinen als Verdienst an, daß sie endlich die Freiheit
niedergerungen haben und daß sie das taten, um die Menschen glücklich
zu machen und daß sie das taten, um die Menschen glücklich zu
machen. "Denn jetzt" - er spricht natürlich von der Inquisition -
"ist es zum erstenmal möglich geworden, an das Glück der Menschen
zu denken. Der Mensch ist seiner Anlage nach ein Empörer; können
den Empörer glücklich sein? Man hat Dich gewarnt", sagt er zu
Ihm, "es fehlte Dir nicht an Warnungen und Hinweisen, aber Du hörtest
nicht auf die Warnungen, Du verschmähtest den einzigen Weg, auf dem
man die Menschen hätte glücklich machen können. Doch zum
Glück hast Du, als Du von hinnen schiedest, die Sache uns übergeben.
Du hast es versprochen, Du hast es durch Dein Wort bekräftigt, Du
hast uns das Recht verliehen, zu binden und zu lösen, und jetzt darfst
Du uns selbstverständlich nicht einmal daran denken, uns dieses Recht
wieder zu nehmen. Warum bist Du also gekommen, uns zu stören?"»
Lateinisches Original
zitiert nach dem Brevier der Staatsbibliothek (Ms. theolog. lat. qu. 377,
fol.110):
«Deus qui
apostolo tuo petro collatis clavibus regni celestis . ligandi . atque solvendi
pontificium tradidisti . concede ut intercessionis eius auxilie . a peccatorum
nostrorum nexibus liberemur . qui vivis .»
Kapitel
5 - Montmajour
Kapitel
6 - Organum purum
Ich stütze mich hierbei
auf die Verstärkung bestimmter Obertöne durch die Artikulation
der Vokale (Zungenstellung), wie sie der Komponist Karlheinz Stockhausen
in der Einleitung zu seiner Komposition "Stimmung systematisiert hat. Das
offene e (z.B. "Bett") verstärkt den 16. Partialton, also die vierte
Oktave über dem Grundton:
In dieser Darstellung bezeichnen die Zahlen
die Partialtöne und beginnen vom dunkelsten zum hellsten Vokal. Die
Zahlen unter den Vokalen gelten für die Partialtöne tiefer Stimmen,
die darüber für hohe Stimmen - bezogen auf die Tonhöhe des
intonierten Grundtons. Diese Unterscheidung beruht auf der Eigenschaft,
daß die Partialtonreihe mit zunehmender Höhe kürzer wird.
Eine mitteltiefe Stimme hat zu einer Stimme, die eine Oktave höher
singt, genau die gleichen Obertöne, die sich allerdings innerhalb
der Partialtonreihe auf der höheren Oktave befindet - z.B. der vierte
in der Unterstimme gegenüber dem zweiten Partialton in der Oberstimme
läßt in beiden Stimmen die Oktave über der Oberstimme erklingen.
Dadurch doppeln sich auch die Zwischentöne, da die Intervalle nach
oben immer enger werden.
Um ein so deutliches
Bild wie hier zu erhalten, muß die Tondatei auf ein Format von 8000
Hz (Samplerrate) heruntergebracht werden und wird die Aufnahmesehr verzerren
- heute sind Raten von 44100 oder 48000 Hz Standard. Die Anzeige des Sonogramms
ist im jeden Fall zu ungenau, um eine Tonhöhe zu messen. Sie zeigt
hier aber den melodischen Verlauf dieser Obertöne, der den Haltetönen
des Tenors folgt.